Nach der Wahl des Rechtspopulisten Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA zeigt sich auch das Establishment Europas und in Deutschland geschockt. Die neoliberale Epoche steckt offenkundig in einer Krise: Brexit und der überraschende Sieg eines rechtspopulistischen Immobilienmilliardärs in den USA sind Anzeichen einer Zeitenwende. Wenn die bisherigen politischen Eliten mehr Regulierung, höhere Steuern für Firmen oder Interventionen in den Markt postulieren, wenn sie den Staat nicht mehr als Ursache aller Probleme, sondern als Teil der Lösung sehen, wenn sie Freihandel und Personenfreizügigkeit skeptisch beurteilen, dann bestehen Chancen für einen neuen Politikwechsel.
Selbst Finanzminister Schäuble (CDU) gibt sich irritiert: „Demagogischer Populismus ist nicht nur ein Problem Amerikas. Auch anderswo im Westen sind die politischen Debatten in einem besorgniserregenden Zustand.“ Als Ursache des zunehmenden Populismus benennt Schäuble, „dass die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer ein gutes Bild“ abgeben. Zudem seien Entscheidungsprozesse häufig kaum noch nachvollziehbar. Der Minister fordert daher: „Jeder muss bereit sein dazuzulernen. Wenn wir für die Perspektive des anderen und fürs Umdenken offen sind, hat es der demagogische Populismus schwer.“
Es ist illusionär, nur das Erscheinungsbild der Politik des Establishments ändern zu wollen. Der Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) dürfte daher bei der Frage nach den Gründen dieses umwälzendes Ereignisses in den USA eher den entscheidenden Punkt treffen: die Wahl Trumps ist „Ausdruck des Willens der Amerikaner, über ihr Land selbst zu bestimmen“. (…) „Und diesen Wunsch haben erkennbar auch immer mehr Menschen in Deutschland und Europa.“ Viele Menschen fühlen sich fremdbestimmt – von der EZB, von EU-Technokraten, von TTIP und von den Folgen der unkontrollierten Zuwanderung.
Zurecht unterstreicht der Ökonom Bofinger, dass die neoliberale Austeritäts- und Ordnungspolitik in einer tiefen Glaubwürdigkeits- und Legitimitätskrise steckt: „Wenn die Globalisierung dazu führt, dass das untere Drittel der Einkommensverteilung über eine ganze Generation hinweg nicht mehr am allgemeinen Anstieg des Wohlstands partizipieren kann und sich dabei zugleich einer größeren Unsicherheit in Bezug auf den Arbeitsplatz und die soziale Absicherung gegenübersieht, ist es nicht überraschend, dass der Konsens für offene Märkte weltweit im Schwinden begriffen ist. Dies lässt sich für Deutschland anhand einer aktuellen Analyse der Einstellungen von Anhängern einzelner Parteien erkennen (Köcher, 2016). Anhänger der AfD sehen sich besonders stark von der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt. Zugleich sind sie – im Gegensatz zu den Anhängern anderer Parteien – mehrheitlich der Auffassung, dass ein EU-Austritt für Deutschland vorteilhafter sei als eine EU-Mitgliedschaft. Für das Vereinigte Königreich zeigt sich ein ähnlicher Befund.“[1]
Auch ich sehe in der Wahl Trumps und dem „Brexit“-Votum in Großbritannien vor allem eine rechtspopulistische Reaktion eines Großteils der Wahlbevölkerung auf die Enttäuschung über die Politik des politischen und wirtschaftlichen Establishments im neoliberalen Zeitalter der Ungleichheit. Anhänger des Rechtspopulismus sehen sich besonders stark von der gesellschaftlichen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt. Sie sind anfällig für eine Verlagerung des Verteilungskonfliktes zwischen Kapital und Arbeit in einen Konflikt zwischen „Wir und den Fremden“. Viele Leute sind wütend darüber, dass sie nicht am Wachstum der Wirtschaft teilhaben und durch die Globalisierung benachteiligt werden. Dieser Zorn hat sich im Vereinigten Königreich und den USA Bahn gebrochen. Er wird uns in den nächsten Monaten auch in Europa verstärkt zu schaffen machen.
Trumps Sieg steht für einen gesellschaftspolitischen Wandel in den USA. Die Politik wird fremdenfeindlicher, rassistischer und wachstumsfreundlicher werden. Trump wird die bisherige Wirtschaftspolitik spürbar verändern. Er wird gegen Handelsabkommen vorgehen und den Fokus auf die Immigrationspolitik richten. Seine Regierung wird etablierte Vereinbarungen in einer Weise hinterfragen, wie das in der Nachkriegszeit noch nie der Fall war. Gewisse Veränderungen kann er sofort mit direkten Regierungsbeschlüssen umsetzen. Für echte „Reformen“ braucht er jedoch die Zustimmung des Parlaments, das nach wie vor traditionell republikanisch ausgerichtet ist. Seine Rhetorik wird wie bisher beängstigender erscheinen als sein tatsächliches Handeln. Trump wird der US-Präsident sein, der die USA aus dem deflationären Umfeld herausführen kann, denn er will Steuersenkungen und Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen. Das wird die US-Wirtschaft beleben. Verbunden sein wird damit ein härterer Konkurrenzkampf auf den Weltmärkten und gewiss keine Eindämmung der tiefen sozialen Spaltung in den USA.
Auch angesichts dieser entscheidenden Veränderung bleibt die SPD unklar und pers-pektivlos. Parteichef Sigmar Gabriel warnt sehr wortstark vor einem Rollback: „Trump ist der Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen. Er ist auch eine Warnung an uns. Wir finden sie nicht nur mit Putin in Russland oder mit Erdogan in der Türkei, sondern auch mitten in Europa in Frankreich mit Le Pen, aber auch mit Sarkozy, in Polen mit Kaczynski, in den Niederlanden mit Wilders oder in Deutschland mit der AfD. In Wahrheit geht es dieser neuen autoritären Internationalen um viel mehr: Es geht ihnen um ein echtes Rollback in die schlechten alten Zeiten. In denen Frauen an den Herd oder ins Bett gehörten, Schwule in den Knast und Gewerkschaften höchstens an den Katzentisch. Und wer das Maul nicht hält, wird öffentlich niedergemacht.“
Auch die Linkspartei hat immer wieder einen Politikwechsel von Links eingefordert und auf die tiefe soziale Spaltung und den wachsenden Zorn von große Teilen der Bevölkerung hingewiesen. Wenn die SPD-Führung jetzt unterstreicht, man höre den BürgerInnen genau zu, um aber im politischen Handeln weiterhin dem Mainstream der herrschenden Austeritätspolitik zu folgen, ist genau dies auch ein Ausdruck jener Entfremdung und Verachtung gegenüber der Bevölkerung, die dem Rechtspopulismus Futter gibt.
Ein wichtige Konsequenz hat Dietmar Bartsch benannt: „Es muss uns also bei der Erarbeitung des Wahlprogramms nicht zuletzt darum gehen, den Alltagserfahrungen derjenigen Menschen, die sich von der neoliberalen Modernisierung bedroht oder aufs Abstellgleis geschoben sehen, nicht nur eine Stimme zu geben und im Rahmen einer klassenpolitischen Signatur zu interpretieren. So können wir politische Konzepte und Lebenswelten vermitteln. Das ist etwas anderes als große Welterklärungen. In Zeiten großer Verunsicherung, in denen viele Menschen Veränderungen als Bedrohung wahrnehmen, ist DIE LINKE besonders gefordert: Sie muss sagen können, was sie besser machen und wie sie das tun will. Sie muss ausstrahlen, dass ihr politisches Abenteurertum fremd ist. Sie muss die Hoffnung vermitteln, dass sich das Leben durch Politik verändern lässt. Aus Hoffnung kann Zuversicht entstehen, und aus Zuversicht heraus kann sich Kampfkraft entwickeln.“
Angesichts des Aufstiegs des Rechtpopulismus in Europa stellt sich die Frage, wie diese Neuausrichtung gelingen kann. Die Zunahme von Ressentiments und Ängsten muss vor dem Hintergrund eines wachsenden Widerspruchs in der Bevölkerung über die Konsequenzen des Zustroms an Flüchtlingen und der unübersehbaren Defizite des Staatsapparates gesehen werden, was sich in eine anwachsende Sympathie und Unterstützung für Positionen der Ab- und Ausgrenzung umsetzt. Die Integration der vor Krieg, Elend und politischer Verfolgung Geflohenen in Deutschland erfordert kluges und mutiges Handeln. Sie wird nur dann gelingen, wenn sie Teil der Erneuerung der sozialen Infrastruktur zugunsten aller hier lebenden Menschen ist.
Für alle heute und zukünftig in Deutschland lebenden Menschen ist es wichtig, dass unser Bildungssystem – von der Kita angefangen – modernisiert und ausgebaut wird. Wir brauchen mehr und besser bezahlte Fachkräfte in den öffentlichen Dienstleistungen und mehr bezahlbaren Wohnraum für alle in den Ballungsräumen. Die notwendigen Investitionen in die Zukunftsfähigkeit unseres Gemeinwesens dürfen nicht dem Mantra der „Sparpolitik“ geopfert werden. Angesichts der niedrigen Zinsen ist die Finanzierung öffentlicher Investitionen für den Staat so günstig wie noch nie.
Da die Probleme jetzt anstehen, müssen die Gelder kurzfristig bereitgestellt werden. Da keine Überschüsse im notwendigen Maße zur Verfügung stehen, Ausgabenkürzungen an anderer Stelle nirgendwo in Europa politisch zu vermitteln sind und Steuereinnahmen bestenfalls mittelfristig zur Verfügung stehen, müssen die Ausgaben über Neuverschuldung bestritten werden. Dies ist ohnehin angemessen, da die zu tätigenden Ausgaben überwiegend den Charakter von Investitionen tragen, die typischerweise und generationengerecht durch Kredite vorfinanziert werden. Zudem ist eine starke Anschubfinanzierung oft wirksamer als den gleichen Betrag stückweise auszahlen. Auch dies spricht für eine Vorfinanzierung durch Kreditaufnahme, die auch durch die derzeit äußerst niedrigen Zinsen unproblematisch ist.
Die langfristige Gegenfinanzierung hat natürlich durch Steuereinnahmen zu erfolgen. Dabei wird durch die ausgelösten Wachstumsimpulse und selbstfinanzierenden Effekte ein beträchtlicher Teil der Ausgaben (mindestens die Hälfte oder bestenfalls nahezu das komplette Programm) gedeckt. Dennoch sollten Steuererhöhungen oder neue Steuern auf nationaler und/oder europäischer Ebene u.a. für Spitzenverdiener, auf Millionenvermögen und für Börsenspekulanten beschlossen werden, da sie aus vielerlei Gründen ohnehin geboten sind.
Angesichts dieser Herausforderungen trete ich dafür ein, dass sich die LINKE auf die Stärkung so einer reformalternativen Strategie konzentriert und offensiv für eine Bündelung der Kräfte links der gesellschaftlichen Mitte wirbt. Es bedarf der gründlicheren Beschäftigung mit der rot-rot-grünen Regierungspolitik in Thüringen, in wieweit dort gemachte Erfahrungen für eine bundesweite reformalternative Strategie zu nutzen sind. Sollte es auch in Berlin zu einem Koalitionsvertrag reichen, der in dieser Richtung für die Menschen sichtbare Signale setzt, werden die Chancen für einen Politikwechsel auf Bundesebene wachsen.
[1] www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/jg201617/kap01_jg16_17.pdf