Artikel der Hohenloher Zeitung vom 20.9.2017 (Onlineausgabe)
Kupferzell: Die sechs Bundestagskandidaten im Wahlkreis Hohenlohe/Schwäbisch Hall präsentieren sich wenig streitlustig. Zwischenrufe aus dem Publikum sorgen für Kopfschütteln.
Sie stehen für den Hohenlohekreis zur Wahl (v.l.): Christian von Stetten (CDU), Harald Ebner (Grüne), Kai Bock (Die Linke), Annette Sawade (SPD), Valentin Abel (FDP) und Stefan Thien (AfD). Beim HZ-Forum versuchen sie noch einmal Stimmen für sich zu gewinnen. Fotos: Ralf Seidel
Viel schief gelaufen
Das erste Mal kocht die Stimmung hoch, als die Moderatoren Hans-Jürgen Deglow, Politikchef der Heilbronner Stimme, und Ralf Reichert, Redaktionsleiter der Hohenloher Zeitung, die Flüchtlingspolitik thematisieren. Dabei sind sich zunächst alle Kandidaten einig, dass 2015 einiges schief gelaufen ist, als die größte Anzahl Schutzsuchender nach Deutschland kam.
Annette Sawade (SPD) ist sogar der Ansicht, dass „die Fehler viel früher gemacht wurden, schon bevor Angela Merkel gesagt hat, wir schaffen das“. Man habe Griechenland und Italien mit den Flüchtlingen zu lange alleine gelassen.
Kai Bock (Die Linke) geht noch einen Schritt weiter. Er sieht Deutschland mitverantwortlich für die Probleme in den Herkunftsländern der Flüchtlinge: „Wir sind einer der größten Waffenexporteure der Welt, wir sind diejenigen, die diese Länder wirtschaftlich ausbeuten“, sagt er. Deshalb sei man in der Pflicht, diesen Menschen zu helfen.
Modell Australien
AfD-Politiker Stefan Thien spricht sich hingegen für eine Asylpolitik nach australischen Vorbild aus und erhält Applaus aus den vorderen Reihen. „Jeder, der versucht, illegal ins Land zu kommen, hat auch kein Recht, rein zu kommen oder künftig einen Einwanderungsantrag zu stellen.“
Konkret bedeutet das Modell Australien: Flüchtlinge abschrecken und sich abschotten. Wen die Marine nicht zurückschickt, bringt sie auf kleine Inseln Papua-Neuguineas, wo Australien Auffanglager betreibt und finanziert. Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Praxis schon länger und berichten von teils katastrophalen Zuständen in den Lagern.
Thien könnte sich solche Lager durchaus in Mittelafrika vorstellen, wenn man das Gespräch mit Kenia oder Ghana suche. Schließlich wird es Grünen-Politiker Harald Ebner zu bunt. Er ergreift das Wort: „Lassen Sie uns fair bleiben, wir reden hier über Menschen,“ bittet er und zeigt sich fassungslos über die teils „hasserfüllten Zwischenrufe“ aus dem Publikum.
Viel Einigkeit
Meist schlagen die sechs Kandidaten aber moderate Töne an, wie es insgesamt auf der Bühne recht harmonisch zugeht. So nicken alle unisono, wenn es um mehr sozialen Wohnbau geht oder die Notwendigkeit schnellen Internets.
Der sozialen Gerechtigkeit – eigentlich ein klassisches SPD-Thema – scheinen sich alle verschrieben zu haben. Christian von Stetten (CDU) betont: „Es leben nicht alle Menschen gut, aber es ging den Menschen in Deutschland noch nie so gut wie jetzt.“ Den Menschen, auf die das nicht zutreffe, müsse man helfen.
Annette Sawade (SPD) ergänzt: Noch immer seien Familien und Alleinerziehende besonders von Armut bedroht. Das müsse im reichen Deutschland nicht sein.
Während von Stetten dafür plädiert, dass die Eigner von Konzernen selbst über die Höhe von Managergehältern entscheiden, ist Kai Bock für ein generelles Gehaltslimit. „Wenn man keine Visionen hat, kann man auch nichts erreichen“, sagt er.
Für Valentin Abel (26) ist es um die Gerechtigkeit nicht gut bestellt, „wenn ich die jüngeren Generationen ansehe“. Auf die Rentenreform der SPD ist er schlecht zu sprechen. Die koste bis 2045 1,25 Billionen Euro.
„Stimmt gar nicht“, ruft Sawade dazwischen. Bis 2020 seien es 19,2 Milliarden bei einem gleichbleibenden Beitragssatz. Sie reicht ihm den Zettel mit der Berechnung der SPD und überzeugt Abel damit mitnichten.
Man müsse die soziale Absicherung auf eine festere und breitere Basis stellen, um sie für künftige Generationen sicher zu machen, findet Harald Ebner und wirbt für die Bürgerversicherung der Grünen, in die ausnahmslos alle einzahlen müssen.
Eine „extreme Neiddiskussion“ macht Stefan Thien bei der AfD nicht aus, will aber höhere Einkommen auch höher besteuern. Er prangert prekäre Verhältnisse bei „Praktikantenunwesen“ und Zeitarbeit an. Was die AfD ablehne sei, „neu ins Land reinzukommen und gleich mehr Geld zu bekommen als der, der schon 40 Jahre gearbeitet hat“.
Hintergrund: Breitbandversorgung
Schnelles Internet ist eines der lokalen Themen beim HZ-Wahlforum. Dass beim Breitbandausbau bislang viel schief gelaufen ist, darüber sind sich die Kandidaten einig. Für Ebner (Grüne) wurde die Glasfaserverkabelung bereits von Postminister Schwarz-Schilling (1982-1992) zugunsten der veralteten Kupferverkabelung verzögert. Klar ist auch, dass es ohne Breitbandversorgung und ohne mobiles Internet auf dem Land nicht geht. Für die Kandidaten von FDP und CDU muss die Digitalisierung deshalb künftig zur „Chefsache“ werden. Für von Stetten und Sawade ist die Voraussetzung für den beschleunigten Ausbau, dass schnelles Internet genauso verpflichtend zur Daseinsvorsorge gehören muss wie ein Telefonanschluss.
(In der Zeitungsausgabe sind einige Informationen mehr zu finden)