Nach Referendum: EU-Beitrittsverhandlungen mit Türkei müssen gestoppt werden – Wahlen unter Ausnahmezustand sind nicht demokratisch


Im Wortlaut von Heike Hänsel, 18. April 2017

Vom 15. bis zum 17. April habe ich mich als eine von 20 internationalen Wahlbeobachter/innen (aus Frankreich, Italien, Spanien, Schweiz, Norwegen), auf Einladung der HDP-Oppositionspartei, im Südosten der Türkei, Provinz Diyarbakir, aufgehalten. Neben weniger als einer Handvoll Beobachter/innen der OSZE und des Europarates, waren wir die einzigen, die in den kurdischen Regionen präsent waren. Dies war eindeutig viel zu gering, obwohl gerade dort die Unterdrückung der Opposition besonders gravierend ist. In unserer Abschlusserklärung kamen wir zu dem Schluss, dass dieses Referendum, das unter Bedingungen des Ausnahmezustands in der Türkei stattgefunden hat, nicht als demokratisch bezeichnet werden kann. Die, auch von der OSZE kritisierte, massiv eingeschränkte Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Oppositionsparteien und Medien im Vorfeld der Abstimmung und am Wahltag sind mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar.


Als internationale Wahlbeobachter/innen wurden wir häufig daran gehindert, Wahllokale in den Provinzen Diyarbakir, Batman und Mardin zu betreten. Es herrschte ein allgemeines Klima der Einschüchterung und Überwachung durch die starke Präsenz von Sicherheitskräften und zahlreiche Checkpoints an Straßen und innerhalb der Städte. Polizei- und Militärkräfte, mit schweren Waffen, hielten sich nahe oder sogar innerhalb der Wahllokale auf, obwohl ein Mindeststandard von 150 Metern außerhalb der Wahllokale vorgeschrieben ist. Während ich bei den Parlamentswahlen im November 2015 zumindest noch ungehindert Wahllokale aufsuchen und dem Wahlvorgang beiwohnen konnte, war das dieses Mal nicht möglich, geschweige denn eine Auszählung der Stimmen zu verfolgen. Uns wurde meistens direkt das Betreten der Räume mit den Wahlurnen von der Polizei oder auch von örtlichen AKP-Vertretern untersagt, die sich als Beobachter dort aufhielten. Einigen Delegationen wurde sogar Verhaftung angedroht. Beim Verlassen des Wahllokals wurden wir von Zivilpolizei weiter verfolgt. Auch die vom Europarat mandatierten Beobachter wurden massiv an ihrer Arbeit in Diyarbakir und Mardin gehindert.

Die Oppositionspartei HDP beklagte zudem Verhaftungen von Wahlhelfern ihrer Partei am Wahltag selbst sowie bereits im Vorfeld des Wahltages. Dadurch konnten nicht flächendeckend an allen Urnen Wahlhelfer und/oder Beobachter gestellt werden. Die Entscheidung der nationalen Wahlkommission am Wahltag, auch zuvor nicht rechtmäßig gestempelte Wahlscheine als gültig mitzählen zu lassen, ist inakzeptabel und zeigt die parteiische Haltung der Wahlkommission. Daher ist die nun offiziell gestellte Forderung der Oppositionsparteien nach Annullierung der Wahl berechtigt.

Was aber macht die Bundesregierung? Kanzlerin Merkel und Außenminister Gabriel fordern Erdogan zum „Dialog mit der Opposition“ auf! Wie der „Dialog mit der Opposition“ für Erdogan aussieht, haben wir ja nun zur Genüge die letzten zwei Jahre erlebt, das ist blanker Hohn. Die Bundesregierung kann hier nicht zur Tagesordnung übergehen, es darf kein „Weiter so“ in der deutschen Türkei-Politik geben. Es braucht nun endlich eine klare Sprache: Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen und Verhandlungen über die Zollunion, Stopp der milliardenschweren EU-Vorbeitrittshilfen an die türkische Regierung, Stopp der militärischen Kooperation und deutschen Rüstungsexporte, Abzug der Bundeswehrsoldaten aus Incirlik. Dies wären überzeugende Zeichen der Kritik an der Erdogan-Diktatur in der Türkei. Die Fraktion DIE LINKE wird sich weiterhin solidarisch mit den demokratischen Kräften in der Türkei zeigen und fordert einen Unterstützungsfonds für hier nach Deutschland ins Exil geflüchtete Oppositionelle.