Im Wortlaut von Jutta Krellmann, gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag 26. Oktober 2017
Den Kolleginnen und Kollegen beim Hersteller für Zeiterfassungstechnik Dormakaba ging es wie so vielen anderen auch. Trotz 40-Stunden-Woche leisteten viele Beschäftigte regelmäßig Überstunden, verzichteten der Firma zuliebe auf Zeit für sich selbst und die Familie. Doch die Überstunden ließen sich nie abbummeln, ausgezahlt wurden sie auch nicht. Am Quartalsende strich das Management dann schließlich ein Großteil der Überstunden.
Dieses Problem ist in Deutschland weit verbreitet. 2016 bargen die geleisteten Überstunden ein Potential für etwa eine Million zusätzliche Vollzeitstellen. Theoretisch – denn die Mehrheit der über 1,7 Milliarden Überstunden wurde nicht bezahlt. Damit entgingen den Beschäftigten laut Deutschem Gewerkschaftsbund im Jahr 2015 mehr als 20 Milliarden Euro Lohn und Gehalt.
Beschäftigte machen zu viele Überstunden
Millionen Beschäftigte arbeiten in Deutschland deutlich länger als vertraglich vorgesehen. Während sich manche halb zu Tode schuften, müssen sich immer mehr Beschäftigte mit Minijobs oder unfreiwilliger Teilzeit zufrieden geben. Tarifverträge sehen laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) durchschnittlich 37,7 Wochenarbeitsstunden vor. Doch 65 Prozent der Männer und 33 Prozent der Frauen arbeiteten im Jahr 2015 40 Stunden oder mehr pro Woche.
Gleichzeitig gibt es immer Teilzeitbeschäftigte, die weniger als 20 Wochenstunden arbeiten. Im 2015 ist die Zahl auf 4,8 Millionen angestiegen. Die Stunden, die andere zu viel arbeiten, könnten die gut gebrauchen, um auf ein halbwegs anständiges Gehalt zu kommen.
Arbeitsbelastung muss umverteilt werden
Diese Schieflage macht immer mehr Beschäftigte krank. Im Jahr 2015 betrug die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen in Deutschland fast 85 Millionen – eine Steigerung von mehr als 150 Prozent seit 2001. Den Arbeitgebern dagegen nutzt diese Entwicklung. Trotz hoher Kosten durch Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sparen sie eine Million Arbeitskräfte und bekommen einen teilweise unbezahlten, flexiblen Einsatz von den Beschäftigten, die sie eingestellt haben.
Auch die Arbeitsbelastung muss also dringend umverteilt werden. In diese Richtung gehen die aktuellen Forderungen der IG Metall für die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. Die Gewerkschaft fordert sechs Prozent mehr Lohn plus einen Anspruch darauf, die Arbeitszeit für maximal zwei Jahre von 35 auf bis zu 28 Wochenstunden zu reduzieren. DIE LINKE begrüßt die Kampagne der IG Metall und will auch mit den anderen Gewerkschaften gemeinsam die 35-Stundenwoche und weitere tarifliche Arbeitszeitverkürzungen flächendeckend durchsetzen. Im Bundestag wollen wir begleitend die Rahmenbedingungen anders setzen und für eine Senkung der gesetzlichen Höchstwochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden kämpfen.
Mitbestimmung ausweiten
Doch um sicherzustellen, dass die tariflich festgelegte Höchstarbeitszeit im Betrieb auch eingehalten wird, müssen Mitbestimmungsregelungen ausgeweitet und Fragen der Arbeitsorganisation und der personellen Ausstattung der Arbeitsplätze in den Katalog der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte aufgenommen werden. Dann können Betriebsräte von sich aus tätig werden und die Initiative ergreifen, um die Arbeit gemeinsam mit den betroffenen Beschäftigten zu gestalten und bei Personalmangel und Arbeitsverdichtung für Entlastung sorgen.
Auf mehreren Betriebsratskonferenzen hat DIE LINKE gemeinsam mit hunderten Betriebsräten aus ganz Deutschland weitere Forderungen erarbeitet. Wir wollen u.a. erzwingbare Mitbestimmungsrechte für Betriebs- und Personalräte im Betriebsverfassungsgesetz und im Bundespersonalvertretungsgesetz bei Fragen der Zeitsouveränität, der Vereinbarkeit von Arbeit und privatem Leben sowie bei der Bestimmung der Arbeitsmenge, auch außerhalb von Leistungslohn. Um Löhne und Arbeitsbedingungen zu verteidigen und um zu verhindern, dass die Arbeitsbedingungen am Betriebsrat vorbei geregelt werden, braucht es zudem auch ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei allen Formen unsicherer Beschäftigung: Befristungen, Leiharbeit, Werkverträge, Teilzeit und Minijobs. Betriebs- und Personalräte sind die Fachleute im Betrieb und brauchen deshalb mehr Rechte.
Doch die Arbeitgeber wollen genau das Gegenteil. Unter dem Vorbehalt der „Digitalisierung“ bereiten Arbeitgeberverbände Vorstöße für eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes vor, um Flexibilisierung in ihrem Sinne auszuweiten. So schrieb der Geschäftsführer der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft in einer Pressemeldung vom 19. Juli, dass „die Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden nicht mehr zeitgemäß“ ist und auch die verankerte Mindestruhe von elf Stunden im Arbeitszeitgesetz fallen muss.
Lebensqualität versus Profit
Beim Kampf für die Umverteilung von Arbeitszeit geht es auf beiden Seiten um immense Interessen. Für die Beschäftigten steht ihre Lebensqualität auf dem Spiel – für die Arbeitgeber Milliarden an Profiten. Dementsprechend kann dieser Kampf umso härter ausfallen.
Als die IG Metall Mai 1984 für die 35-Stundenwoche streikte und demonstrierte, kam es zu massenhaften Aussperrungen in den Betrieben. Am Höhepunkt der Bewegung am 28. Mai 1984 kamen 250 000 Menschen in 3300 Bussen und 51 Sonderzügen nach Bonn um im strömenden Regen gegen die Aussperrungen von Beschäftigten zu demonstrieren. Heute ist die 35-Stundenwoche nach wie vor tariflich festgelegt.
Die Belegschaft bei Dormakaba kämpfte noch einen Schritt davor, um überhaupt einen Tarifvertrag zu erhalten. Mit ihrem Warnstreik für die Tarifbindung im Dezember 2016 konnten sie eine Entlastung durchsetzen. Schritt für Schritt sollen Löhne und Arbeitsbedingungen an das Niveau des Flächentarifs die Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg angepasst werden. Also hoch beim Lohn und runter bei der Arbeitszeit. Für die Beschäftigten eine Erleichterung. Ihre Arbeitszeit bleibt erfasst, sie können nun Ausgleichsstunden nehmen, wenn sie mal privat etwas erledigen müssen.
Gut gemacht Kolleginnen und Kollegen! Denn wir leben nicht nur um zu arbeiten, sondern wir arbeiten um zu leben!